1.2 Begriffsbedeutung und Definition
Eine wissenschaftliche Kommunikation und Auseinandersetzung mit einer Thematik erfordert den präzisen Gebrauch der Sprache und das genaue Wissen um die Etymologie der gebrauchten Wörter. Deshalb ist es unabdingbar einen Überblick über, und eine Definition für die zu nutzenden Wörter zu schaffen und diese zu erläutern.
1.2.1 Suizid
Das Wort Suizid ist ursprünglich ein aus dem Lateinischen stammendes Wort, welches sich aus zwei Wörtern zusammensetzt: sui und caedere, die „selbst“ und „schlagen, hauen, töten“ bedeuten. Somit bedeutet dieses zusammengesetzte Wort schon in der lateinischen Ursprungsform „Selbsttötung“.
Ähnliche, aber auch andere Begriffe sind häufig in der Literatur zu finden und im täglichen Sprachgebrauch stark vertreten. Genannt seien hier beispielsweise „Selbstmord“, „Selbsttötung“ und „Freitod“. Diese Begriffe zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen assoziativen Charakter besitzen, der bei wissenschaftlichen Arbeiten in der Regel nicht erwünscht ist. So ist der Begriff der „Selbsttötung“ zwar neutraler als die beiden anderen Begriffe, umfasst aber nicht explizit Suizide, die eine appellierende Funktion haben und bei denen die Tötung des Ichs nicht im Vordergrund steht.
„Selbstmord“ enthält eine zu starke Konnotation zu dem Begriff des Mordes. Dieser wird im Unterschied zum Suizid als moralisch verwerflich und juristisch gänzlich verboten angesehen. Eine Handlung, die zum Mord führt, schließt Arglist und Bosheit ein, während suizidale Handlungen dieses eher nicht aufweisen. Somit ist „Selbstmord“, aufgrund der unterschiedlich gelagerten moralischen Komponente, generell ein falscher Ausdruck, der zu einer negativen Assoziierung führt.
Als zu euphemistisch und verherrlichend wird der von Jean AMÉRY geprägte Begriff des „Freitods“ empfunden. Er lässt anklingen, dass der Suizid eine bewusste, gewünschte und erstrebenswerte Todesart sei. Dies mag für bestimmte Personen und Umstände durchaus zutreffen, schließt jedoch durch äußere Umstände „erzwungene“ Suizide aus, so dass dieser Begriff eher unvollständig ist.
Aufgrund seiner Neutralität und der umfassenderen Semantik hat sich „Suizid“ oder „selbstschädigende Handlung“ in der wissenschaftlichen Literatur vor anderen Begriffen durchgesetzt.
Dagegen setzt der alltägliche zwischenmenschliche Gebrauch die Wörter „Selbstmord“ und „Suizid“ gleich, und sorgt damit für einen diffusen und undifferenzierten Bezug zum Thema und verwischt somit die nuancierte Bedeutung dieser Wörter.
Im englischen Sprachgebrauch und in der anglosprachigen wissenschaftlichen Literatur hat sich beinahe ausschließlich der Begriff suicide durchgesetzt, welcher jedoch oft im Zusammenhang mit Präfixen (z.B. assisted suicid oder copycat suicide) verwendt wird.
Die japanische Sprache weist dagegen eine hohe Anzahl an Wörtern zum Thema Suizid auf, die verschiedenste semantische Nuancen besitzen. So gibt es Wörter für spezielle Suizide und -arten, wie shinjû (心中; jap.: Doppelsuizid), jôshi (情死; jap.: Liebessuizid) oder diffuse Wörter wie jiketsu (自決; jap.: Suizid, Freitod, Amtsniederlegung, Rücktritt, etc.). Am neutralsten, in der Literatur und im alltäglichen Sprachgebrauch am gebräuchlichsten, ist jisatsu (自殺; jap.: Suizid). Dieses setzt sich aus zwei Kanji zusammen, wobei ji für „selbst“ und satsu „abschneiden, schneiden“, in einer anderen Lesung und alleinstehend aber auch korosu oder koroshi bedeuten kann: „Mord“ bzw. „töten, ermorden, umbringen“. Trotz der auch im Japanischen fehlenden Wertneutralität hat sich dieser Begriff jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt.
1.2.2 Alterssuizid
Ab welchem Alter spricht man bei einem Suizid von einem Alterssuizid?
Zunächst ist es zur Beantwortung dieser Frage wichtig Altersgruppen zu bestimmen, die eine Unterscheidung in „alt“ und „nicht alt“ ermöglichen. Eine Altersgrenze ist allerdings nicht beliebig wählbar und sollte sich, zur besseren nationalen und internationalen Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit, an der allgemeinen Definition von gealterten Menschen anlehnen. Dazu kann man den Begriff der Senioren einführen. Wenn man von Senioren spricht, meint man im Allgemeinen gealterte Menschen und je nach Fachgebiet und Diskussionsgegenstand existieren mehrere Möglichkeiten der Begriffseingrenzung, z.B. biologisch, chronologisch, psychologisch und soziologisch. In dieser Arbeit wird größtenteils der chronologische Seniorenbegriff verwendet.
Sowohl in Japan, als auch in Deutschland gibt es eine grobe Phasenaufteilung des Alters: man spricht vom Kind im Alter von 0 Jahren bis 14 Jahren, im Alter von 15 Jahren bis 64 Jahren von Erwerbsbevölkerung bzw. Erwerbsalter. Ab dem Alter von 65 Jahren gilt man als Senior und zählt offiziell nicht mehr zur Arbeitsbevölkerung.
Genauer unterscheidet die WHO ab einem Alter von sechzig: im Alter von 60 Jahren bis 74 Jahren gilt man als „ältere Person“. Ab 75-89 Jahren zählt man zu den „alten Menschen“, als „Hochbetagt“ ab 90 Jahren und ab 100 Jahren sogar als „langlebige Person“.
Dabei ist die generelle Vorstellung von älteren Menschen als gebrechliche, kränkelnde und hilflose Gesellschaftsmitglieder nicht mehr weit verbreitet. Durch die erhöhte Lebenserwartung haben heutige 65-Jährige in Deutschland eine verbleibendende Lebenserwartung von etwas über 16,7 Jahren für Männer und 20,2 Jahren für Frauen (Statistisches Jahrbuch 2008: 53). In Japan liegt die weitere Lebenserwartung ab 65 sogar bei 18,6 Jahren für Männer und 23,6 [9] Jahren für Frauen.
Somit wird in dieser Arbeit ab der Altersgrenze von 65 Jahren vom Alterssuizid gesprochen.
Die eingangs genannten Altersgrenzen werden von den jeweiligen Statistikämtern zur Datenauswertung genutzt, stimmen jedoch in Deutschland und Japan nicht mehr mit dem offiziellen Pensionierungsalter überein. Das effektive Rentenalter liegt in Japan höher als das offizielle, in Deutschland ist es dagegen umgekehrt. So arbeitet ein Großteil der japanischen Altenbevölkerung über das offizielle Pensionierungsalter hinaus, sodass das effektive Ruhestandsalter bei japanischen Männern bei knapp 69,5 Jahren und bei Frauen bei 66,5 Jahren liegt, während diese Werte in Deutschland bei 62,1 und 61 Jahren liegen [10].
1.2.3 „Harte“ und „weiche“ Methoden
In der Literatur treten, neben der expliziten Erwähnung der Suizidmethode, auch Begriffe wie „harte“ und „weiche“ Methoden auf. Darunter ist eine grobe Klassifizierung der Methoden in zwei Gruppen zu verstehen.
Unter weichen Suizidmethoden versteht man den Suizid durch Intoxikation, z.B. durch eine Überdosis an Medikamenten, das Schlucken von giftigen chemischen Flüssigkeiten usw., während bei harten Methoden der Suizid durch Strangulation, Erschießen, Sturz von hohen Gebäuden etc. eingeleitet wird.
Die Unterscheidung erfolgt anhand der Ermittlung der Ernsthaftigkeit des Suizidversuchs, so dass bei harten Suizidmethoden die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Suizids als höher eingeschätzt wird und somit einen hochgradigeren Ernsthaftigkeitscharakter besitzt. Die Unterscheidung ist nicht vollkommen, da auch vermeintlich weiche Methoden durch die Art der Ausführung (Einnahme eines hochtoxischen Mittels, z.B. Strychnin) eine hohe Ernsthaftigkeit aufweisen können.
Fußnoten:
[9] MHLW 2009: Abridged Life Tables for Japan 2008: 1.
http://www.mhlw.go.jp/english/database/db-hw/vs02.html (29.03.2010).
[10] OECD: Ageing and Employment Policies - Statistics on average effective age of retirement. http://www.oecd.org/document/47/0,3343,en_2649_34747_39371887_1_1_1_37419,00.html (29.03.2010).
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