2. Klassifizierung des Alterssuizids
Um eine Größenordnung der Alterssuizide zu vermitteln, bietet dieses Kapitel eine Übersicht über die grundlegenden Daten, wie Häufigkeit und Verteilung der Suizide über verschiedene Altersgruppen. Darüberhinaus werden im zweiten Teil wissenschaftliche Interpretations- und Erklärungsansätze vorgestellt.
2.1 Statistische Daten
In der Bundesrepublik Deutschland wurde im Jahr 2008 eine Zahl von 1.257.384 Verstorbenen erfasst, davon waren 821.627 Männer und 435.687 Frauen. Hierunter fallen auch 44.440 Menschen deren Todesursache kategorisiert wird als durch „Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität“ eingetreten. Diese Kategorie enthält eine Abstufung in die Subkategorien „Tätlicher Angriff“, „Transportmittelunfälle“, „Stürze“, „Unfälle durch Ertrinken u. Untergehen“, „Exposition gegenüber Rauch, Feuer u. Flammen“ und die „Vorsätzliche Selbstbeschädigung“. Die letztgenannte Kategorie entspricht somit dem Suizid an sich [12].
Wie schon anhand der Subkategorien erkennbar, ist die bereits unter Punkt 1.1.5 angesprochene Grundproblematik bei der Erfassung von Suiziden und deren statistischer Aufschlüsselung auch hier vorhanden. Ein als Unfall gewertetes Verunglücken mit dem Fahrzeug oder das Ertrinken können womöglich erfolgreichere Suizidversuche gewesen sein. Dies ist zwar spekulativ, sei aber zu beachten bei den vorgestellten Zahlenwerten.
In der Kategorie „Vorsätzliche Selbstbeschädigung“ ist der Tod von 9.765 Männer aufgeführt, davon sind 2.375 älter als 65 Jahre. Somit liegt die Rate an Alterssuiziden (Definition siehe Punkt 1.2.2) in Deutschland bei knappen 25 Prozent aller Suizide bei Männern. Bei den Frauen beträgt die Anzahl über alle Altersklassen insgesamt 2.540, die Suizide der über 65-Jährigen liegen bei 1.059 und somit bei gerundet 42 Prozent in allen Altersklassen (STATISTISCHES BUNDESAMT 2008: 245-246). Zusammen ergibt das einen Anteil von 27,9 Prozent an Alterssuiziden bei Männern und Frauen.
Abbildung 1: Suizidraten für Deutschland nach Geschlecht und Jahr (1990-2004; pro 100.000 Einwohner)
Quelle: WHO: http://www.who.int/mental_health/media/germ.pdf.
Abbildung 2: Suizidraten für Deutschland nach Geschlecht und Altersklasse (2004; pro 100.000 Einwohner)
Quelle: WHO: http://www.who.int/mental_health/media/germ.pdf.
Eine übersichtliche Darstellung und Aufschlüsselung der Suizidraten nach Geschlechtern im Zeitraum von 1990 bis 2004 hat die WHO vorgenommen (siehe Abb. 1; S.19). Wie erkennbar wird, nimmt die Suizidrate sowohl bei Männern, als auch bei Frauen gleichmäßig ab, während Abbildung 2 die Suizidhäufigkeit nach Altersgruppen aufschlüsselt und hierdurch sichtbar wird, dass insbesondere ab dem Alter von 75 Jahren die suizidale Tendenz enorm ansteigt, was bei den Männern eine knappe Verdopplung und bei den Frauen eine Zunahme von siebzig Prozent bedeutet. Die Rate der Suizide nimmt mit dem Alter zu und erreicht ihren Höhepunkt sowohl bei Männern als auch bei Frauen im Alter über 75 Jahren.
In Japan lag die absolute Zahl an Suiziden im Jahr 2007 bei 30.827 Fällen. Davon entfielen 22.007 auf Männer, von denen 5.293 über 65 Jahre alt waren. Somit betrug die Alterssuizidrate bei den Männer rund ein Viertel (24,05 Prozent). Die Gesamtsuizidzahl bei den Frauen lag bei 8.820, von denen 3.183 Suizidenten über 65 Jahren alt waren. Somit ist die Alterssuizidrate von etwas mehr als einem Drittel (36,08 Prozent) bei den Frauen durchschnittlich höher als bei den Männern (MINISTRY OF HEALTH, LABOUR AND WELFARE (MHLW) 2009: 52-53). Die durchschnittliche Alterssuizidrate für beide Geschlechter lag somit bei etwa dreißig Prozent und somit leicht über dem deutschen Durchschnitt.
Die Entwicklung der Suizidraten von 1990 bis 2006 verlief in Japan anders als die in Deutschland. Die allgemeine Suizidrate nahm zwischen 1995 und 2000 um durchschnittlich sieben Personen pro 100.000 Einwohner und somit um etwa 40 Prozent zu und behielt bis zum Ende des Erfassungszeitraumes die erhöhte Rate bei. Bei den Männern fand insgesamt eine Zunahme von zwölf männlichen Suizidenten bzw. um etwa 60 Prozent statt, während die Frauen eine gleichbleibende Rate über die Jahre hinweg aufweisen (siehe Abb. 3; S.21). Eine Aufschlüsselung der Suizide nach Altersklassen für das Jahr 2006 in Abbildung 4 ergibt, dass die „suizidale Hochphase“ bei Männern im Alter zwischen 45 und 65 Jahren liegt und teils den vierfachen Wert der Frauen aufweist. Interessant ist das relativ starke Abfallen der Suizide zwischen den Jahresaltersgruppen „55-64“ und „65-74“. Mit steigendem Alter steigt die Rate jedoch erneut leicht an. Insgesamt kann man aber bei der Suizidratenentwicklung in Japan für Männer und Frauen eine mit dem steigenden Alter zunehmende suizidale Tendenz erkennen.
Abbildung 3: Suizidraten für Japan nach Geschlecht und Jahr (1950-2006; pro 100.000 Einwohner)
Quelle: WHO: http://www.who.int/mental_health/media/japa.pdf.
Abbildung 4: Suizidraten für Japan nach Altersklasse und Geschlecht (2006; pro 100.000 Einwohner)
Quelle: WHO: http://www.who.int/mental_health/media/japa.pdf.
Eine mit dem Alter ansteigende Rate für Suizide ist vor allem in wirtschaftlich entwickelten Ländern festzustellen, während bimodale oder sinkende Modelle eher in ökonomisch unterentwickelten Ländern anzutreffen sind (GIRARD 1993: 558-560). Diese Beobachtung ist bedingt durch die unterschiedliche soziale und gesellschaftliche Bedeutung und Gewichtung der jeweiligen Lebensabschnitte. GIRARD beschreibt, dass das Suizidrisiko in höher entwickelten Ländern für Männer im gehobenen Alter und für Frauen im mittleren Alter am höchsten ist. Dies resultiert aus den Umstellungen in diesen Lebensphasen und den damit einhergehenden inneren und äußeren Konflikten und Stressfaktoren, d.h. in der traditionellen Rollenverteilung innerhalb einer Familie entspräche dies für Männer der Umbruchphase der Pensionierung und für Frauen der Phase des Auszugs der Kinder.
Sowohl für Deutschland als auch Japan ergibt sich somit ein mit dem Alter ansteigendes Muster der Suizidraten, dessen Schwerpunktverteilungen auf dem Alter ab 75 Jahren in Deutschland und dem Alter von 55 bis 64 Jahren in Japan liegt.
Fußnoten:
[12] Nach dem ICD-10-Klassifikationssystem ist die „vorsätzliche Selbstbeschädigung“ mit den Schlüsselnummern von X60 bis X84 versehen. Verschiedenen Suizidarten, z.B. Strangulation, sind Schlüsselnummern zugeordnet und erlauben somit eine genauere Erfassung von Suizidarten.
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